von Wilhelm Knabe
Rückblick und Ausblick eines Gründers
Mit 95 Lebensjahren bin ich wohl der älteste aktive Grüne in Deutschland. Dankbar bin ich für diese mir im Alter geschenkten Jahre. Ich habe sie auch genutzt, um den Jüngeren aus jener Zeit zu berichten, die sie noch nicht erleben konnten. Das 40 jährige Jubiläum der Gründung ist ein willkommener Anlass, um diese Lücke zu schließen.
Die Gründung der grünen Partei habe ich auf der Landes-, Bundes- und Europaebene miterlebt und mitgestaltet.
Heute möchte ich auf die inzwischen 40- jährige Geschichte
der Grünen zurückblicken und meine Gedanken zur Weiterentwicklung mit anderen teilen.
Lasst uns dazu gemeinsam eine Zeitreise in die Vergangenheit antreten: Ich selbst habe mich schon als Kind im Wald heimisch gefühlt und später als Erwachsener mich bei jeder Herausforderung für die Erhaltung der Natur und den Schutz der Umwelt eingesetzt. So kam es, dass ich mit vollem Enthusiasmus dabei war, als der Ruf nach einer politischen Vertretung der Umweltschützer laut wurde. Als Mitglied der Bürgerinitiative A31 hatte ich die Erfahrung gemacht, dass die Landesregierung Nordrhein Westfalen diese Autobahn unbedingt durchsetzen wollte, obwohl mehr als 100.000 Bürgerinnen dagegen schriftlich protestiert hatten. Mir und vielen Betroffenen war dadurch klar geworden, dass Politiker meist erst dann aktiv werden, wenn ihre Sitze im Parlament bedroht sind.
So ist es kein Wunder, dass sich in diesem Umfeld die Landespartei Grüne NRW bilden konnte. Denkwürdig an der Gründungsversammlung in Hersel ist ein Zollstock geworden. Als ein Zwischenrufer drohte, mit lautem „Ökologen ausziehen!“ die Versammlung zu sprengen und die Gründung zu verhindern, schwenkte ich meinen Zollstock, und rief ebenso laut zurück: „Wir bleiben hier! Wir haben einen anderen Maßstab.
Ein Zollstock eignet sich als Symbol der politischen Ausrichtung einer Partei. Waagerecht gehalten dient er als „Links-Rechts-Elle“ für die gebräuchliche Einteilung der politischen Lager. Senkrecht nach oben gehalten zeigt er dagegen an, ob die betreffende Person oder Partei sich grundsätzlich für eine ökologische Politik einsetzt oder nicht. In der Praxis erlaubt die neue Sichtweise eine Zusammenarbeit von Menschen unterschiedlicher Ansichten, wenn sie nur ein gemeinsames Ziel verfolgten, ihre ökologische Ausrichtung deutlich erklärt oder belegt haben.
Die Grünen in Nordrhein-Westfalen sind dank dieser Gründungsgeschichte in Hersel eine sehr breit gefächerte Partei mit einer vielgestaltigen Basis geworden. Mir selbst hat der Landesvorstand NRW gut 20 Jahre später einen vergoldeten Zollstock zur Erinnerung an diesen Tag des Zusammenhalts geschenkt.Viele grün-interne Schwierigkeiten wurden damit vermieden, aber nicht alle, denn links/rechts war nicht vergessen und nicht überwunden, sondern nur zurückgestellt hinter den vier Säulen „Ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei“ der 1979 beschlossenen Offenbacher Präambel.
Anfangsschwierigkeiten und Diskriminierung
Die ersten Jahre waren nicht einfach. Alle Vorstandsmitglieder arbeiteten ehrenamtlich. Als Sprecher im Landesverband erhielt ich 1979/80 keinerlei Bezahlung, als Sprecher der Bundespartei von 1982 bis 84 nur 100 DM Telefonpauschale im Monat. Alles andere musste ich selbst tragen. Und die Dienststelle war unerbittlich. Jede Stunde, die ich für die Grünen unterwegs war – außer der vorgeschriebenen Woche Zusatzurlaub – musste vor- oder nachgearbeitet werden. Das bedeutete harte Verzichte für die
Familie und klar auch eine Selbstausbeutung, da ich meine wichtigen Forschungsarbeiten zum Waldsterben ganz in die Freizeit verlagern musste.
Hinzu kam die oft gnadenlose Härte, mit der sich die verschiedenen Strömungen innerhalb der Grünen durchsetzen wollten. Schließlich sammelten sich damals bei den Grünen die nach Urteil eines Journalisten „Querköpfe“ der ganzen Nation, die glaubten, allein sie hätten immer recht. Manche wie unser erster Bundesschatzmeister Hermann Schulz haben diese harten internen Auseinandersetzungen, die es bei den Bürgerinitiativen kaum gab, nicht ausgehalten und sind innerlich verbrannt, andere aus dem Projekt wieder ausgestiegen. Ich grüße sie aus der Ferne, auch wenn sie nicht zurückgekommen sind, denn sie haben geholfen, das Projekt über die ersten Klippen zu steuern.
Hinzu kamen die äußeren Repressionen. Die Grüne Liste Umweltschutz war ja keine Konkurrenz für eine der vorhandenen Parteien. Aber als sich 1979 die ersten Wahlerfolge einstellten, als wir in der Europawahl 3,2 % erhielten und die Grünen bei den Kommunalwahlen im Trassengebiet der Autobahn A 31 in einzelnen Stimmbezirken teilweise 10% erreichten, wurden die Altparteien hellwach.
Man sah die Republik in Gefahr und schaltete den Verfassungsschutz ein, um die neue Partei zu beobachten. Dazu ein Erlebnis: am Tag der Gründung der Bundespartei in Karlsruhe im Januar 1980 traf ich einen Herrn auf dem Parkplatz der Stadthalle, der eifrig alle Autonummern der abgestellten Wagen der Delegieren fotografierte. Auf meine Anfrage kam die Antwort, , er sammele Fotos von Aufklebern. Doch der Parkwächter grüßte ihn so ehrfurchtsvoll, dass diese Behauptung nicht stimmen konnte, und siehe da, plötzlich behauptete der Fotograf, zur Stadtverwaltung zu gehören. Er müsse für die Planung von Parkplätzen die Herkunft der Besucher ermitteln. Na, das war eine dämliche Ausrede des Agenten.
Dazu meine Frage an die heutigen Minister und Landtagsabgeordneten:
habt Ihr mal in Köln beim Verfassungsschutz nachgefragt, was in dessen Akten über die frühen Grünen steht? Das wüssten viele Grüne wirklich gerne.
Die Vorurteile wurden auch an anderer Stelle deutlich. Beim Neujahrsempfang des Bundespräsidenten im Januar 1983 noch vor dem Einzug der Abgeordneten ins Parlament stellte mich der Präsident des
Bundesrechnungshofes u. a. dem Chef des Bundeskriminalamtes Herrn Rebmann als neu gewählten Sprecher der Grünen vor. Daraufhin sagte Herr Rebmann: „Ja, ja , ich weiß, von außen grün, von innen rot.“ Und ging weiter. Als ich ihn dann erneut ansprach, um seine völlig irrige Ansicht zu korrigieren, meinte er nur: „Sie werden verstehen, dass ich mich lieber mit konservativen Leuten unterhalte.“ Er wollte sich seine Vorurteile nicht nehmen lassen, obwohl er doch als Beamter für alle Deutschen da zu sein hatte.
Wer im öffentlichen Dienst oder etwa in der Energiewirtschaft tätig war, hatte damals als Grüner nichts zu lachen. Mobbing von oben haben viele erlebt. Da war ich nicht der einzige. Bei mir griff der Präsident der Landesanstalt sogar in die Forschungsarbeit ein. Doch auch einfache Menschen wurden durch bestimmte Medien argwöhnisch gemacht. Am meisten hat mich damals getroffen, dass mir ein Turnfreund meines Vereins am Abend nach meiner Wahl zum Sprecher bei der Grünen nicht mehr die Hand gab, weil er, mich plötzlich für einen Staatsfeind oder so etwas Ähnliches hielt. Das blieb nicht so. Später war er stolz auf mich.
Die Grünen haben also ganz ähnliche Zeiten der Diffamierung wie Lesben und Schwule durchgemacht, für die sich z.B. Volker Beck eingesetzt hatte. Nur die Verirrung der Grünen bei der Landtagswahl 1985, sich auch gegen die Diskriminierung von Päderasten einzusetzen, hatte schwerwiegende Folgen. Dieser Fehler führte zu enormen Stimmenverlusten der Grünen, so dass diese damals in NRW mit 4,6% scheiterten.
Was hat sich geändert?
In den letzten 40 Jahren haben wir drei riesige Schritte gemacht.
Begonnen haben wir als außerparlamentarische Opposition, die eine Tribüne im Parlament suchte, die Sprachrohr für die Bürgerinitiativen sein wollte. Stolz nannte Petra Kelly die Grünen eine Anti-Partei und mit einer gewissen, nicht immer berechtigten Verachtung schauten wir auf die „etablierten Parteien“ herab, die uns das Leben so schwer machten.
Als Partei schafften wir dann als nächsten Schritt den Einzug in Räte und Landesparlamente. Bald folgten noch in meiner Zeit als Sprecher der Grünen – 1983 die erfolgreiche Bundestagswahl und im Folgejahr 1984 auch der Einzug grüner Abgeordneter ins Europaparlament.
Diese Erfolge wurde durch großes persönliches Engagement von
vielen auch weiblichen Mitgliedern wie Petra Kelly und Eva Quistorp möglich.
Dazu geholfen hat vielleicht auch mein Verzicht auf öffentlich ausgetragene Angriffe gegen andere Grüne im Stil von Jutta Ditfurt.
Damit begann der 2. Schritt, die Periode der parlamentarischen Opposition, die nicht nur kritisierte oder Anfragen stellte, sondern eigene Gesetzesvorlagen einbrachte und den Haushalt konstruktiv beeinflussen wollte. Dafür brauchte man nicht nur Argumente, sondern auch Stimmen aus anderen Fraktionen, was nach der Wahl von 1983 noch gar nicht gelungen war. Vier Jahre später hatte sich die Stimmung geändert. Wissenschaftler und Politiker der Enquete-Kommission Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre, in der ich gleichzeitig Experte und einziger Abgeordneter der Grünen war, hatten mehr Erfolg. Die Kommission nahm viele grünen Vorschläge an und brachte mit ihrem einstimmigen Votum den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung dazu, dem ehrgeizigen Ziel von Ozonminimierung und CO2-Reduktion zuzustimmen.
Nur dank solch konstruktiven Zusammenarbeit im Dienste der Sache gelang es mir als einzelnem Abgeordneten, mitten in der Verabschiedung des Gesetzes zum Auswärtigen Dienst (GAD) vom 30.8.1990 noch in der zweiten Lesung den Zusatz einzubringen: „Der Auswärtige Dienst dient ….. der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen der Erde und dem Schutz des kulturellen Erbes der Menschheit.“ Vizepräsident Stücklen stellte völlig überrascht fest. „Einstimmige Zustimmung.“ Das habe ich noch nie erlebt.“ Das war glaube ich eine gute Vorarbeit für Joschka Fischer.
1998 schließlich übernahmen die Bündnisgrünen mit Eintritt in die rot-grüne Koalition Regierungsverantwortung in Deutschland.
Marksteine des Bewusstseinswandels
Die Grünen haben drei wichtige Veränderungen im gesellschaftlichen Bewusstsein bewirkt, die ich als Marksteine bezeichnen möchte:
- Die Befreiung vom Links-Rechts-Schema als einzigen Maßstab zur Bewertung von Politik. Das gelang bei der Gründung der Grünen NRW. Der ökologische Maßstab wurde verbindende Kraft für eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen von Wertkonservativen, Linken und anarchistisch
eingestellten Menschen. - Der zweite Markstein war die Verknüpfung von Ökologie und Wirtschaft im Begriff der Nachhaltigkeit, die mir als Forstwissenschaftler schon lange vertraut ist. Wir haben dadurch erreicht, dass man die Wirtschaft nicht nur als Produzent von Waren und Dienstleistungen oder als Institution zur Vermehrung des investierten Kapitals sehen darf, sondern dass man auf ihr langfristiges Gedeihen und ihre Abhängigkeit von den natürlichen Grundlagen der Erde achten muss.
- Der dritte Markstein schließlich ist die Verknüpfung von Ökologie und Sozialem. Auch hier gilt es, das Bestehen der Sozialsysteme nicht nur für eine Wahlperiode, sondern langfristig zu sichern. Im Gegensatz dazu hat die erste Regierung Schröder zu Gunsten eines opportunistischen Wahlversprechens den demographischen Faktor in der Rentenberechnung gestrichen. Das war ein schwerer Verstoß gegen das Prinzip der Nachhaltigkeit.
Als Regierungspartei warten wieder andere Gefahren auf die Grünen. Der Zuwachs an Macht verlockt dazu, sich zu sehr auf Gesetze, Verordnungen und andere administrative Maßnahmen zu verlassen. Das reicht nicht aus.
Wir dürfen nicht aufhören, am Bewusstseinswandel bei uns selbst und anderen zu arbeiten sowie Freiräume und Strukturen zu schaffen, in denen sich die Gesellschaft selbst organisieren kann. Deshalb ist es gut, Naturschutzverbände, Sportvereine sowie soziale und kulturelle Selbsthilfegruppen in die Vorbereitung einzubeziehen. Wir brauchen deren Unterstützung. Bärbel Höhn, Barbara Steffens, Lilo Wollny und Michael Vesper und viele andere Grüne haben dies beispielhaft versucht. Denn was nützt z.B. ein ausgefeiltes Jagdgesetz, wenn es wegen mangelnder Unterstützung aus der Gesellschaft vom neu gewählten Parlament gleich wieder aufgehoben wird.. Denn glaubt mir, Demokratie bedeutet Wechsel. Wir Grünen sind sowohl als Regierungspartei als auch in der Opposition auf Sympathisanten mit einem geänderten Bewusstsein angewiesen.
Was haben wir gelernt?
Was haben die Grünen seit der Gründung selbst gelernt?
- Wir mussten erkennen, dass staatliches Handeln und Fürsorge für sozial Schwächere nur bei einer funktionierenden Wirtschaft möglich ist. Die Wirtschaft wurde nicht nur oder nicht mehr als Feind gesehen, der die Umwelt zerstört oder die Schwachen ausbeutet, sondern als ein Gegenüber, um dessen Kooperation im Umweltschutz und im Sozialbereich gerungen werden muss, oft mit der Drohung, andernfalls die Frage gesetzlich zu regeln..
- Wir haben das Gewaltmonopol des Staates anerkannt, die Gewaltanwendung nach innen und außen jedoch nach wie vor sehr kritisch gesehen. Wir haben unsere Grundüberzeugung, dass die Anwendung militärischer Gewalt keine Probleme lösen kann, nicht aufgegeben und sind doch wider Willen in den Krieg gegen Jugoslawien eingetreten, obwohl keine Vollmacht der UN vorlag.
- Wir mussten erkennen, dass man Visionen in der Opposition leichter entwickeln und als Forderung erheben kann als dies einer Regierungspartei möglich ist, die bei jedem Gesetz und jeder Maßnahme die Kosten abschätzen und später aufbringen muss.
- 4.Wir haben erlebt, wie wichtig die Unterstützung unabhängiger Gruppen gegen Repression von oben ist und welche nie vorausgesehene Wirkung sie haben kann. In Ostdeutschland, Tschechien und Polen habe ich persönlich erlebt, wie aus den Verfolgten, die wir vorher oft nur moralisch unterstützen konnten, die Sieger der friedlichen Revolution wurden. Elisabeth Weber machte dieselben Erfahrungen im Kontakt mit Polen und Tschechien.
- 5.Wir haben erkannt, dass eine schlagkräftige Partei, die Wähler gewinnen will, nicht im vielstimmigen Chor voller Dissonanzen zur Öffentlichkeit sprechen kann, sondern dass sie sich auf Prinzipien, Ziele und Vorgehensweisen einigen muss. Das erfordert Selbstdisziplin vieler politischer Akteure und auch eine gewisse Stärkung innerparteilicher Hierarchien, die aber nie vergessen sollte, der Basis zuzuhören.
Die Zeit der ehrenamtlichen Politiker auf Bundesebene ist vorbei, aber von Berufspolitikern erwartet die grüne Basis mit Recht professionelle Politik. Dass Gesetze zwischen SPD und CDU in disharmonischer Eintracht unter sich abgesprochen werden, während die Grünen nur am
Katzentisch sitzen und nachträglich informiert werden, sollte nicht wieder vorkommen. Die erwartet mehr Mut.
Werden die GRÜNEN heute noch gebraucht?
Ich sage ja, ja und nochmals ja.
Denn auf die Grünen warten riesige Aufgaben.
Die heutigen Aufgaben sind globaler und komplexer als in unserer Gründungszeit.
- Wer soll denn sonst ein Wirtschaftsmodell entwickeln, das ohne Wachstum auskommt?
- Wir brauchen ein Gesellschaftsmodell für die alternde Bevölkerung.
- Wir brauchen einen Umbau des Bildungssystems von den drei Phasen lernen in der Jugend – Anwendung des Gelernten als Erwachsene und Untätigkeit im Alter oder als Arbeitsloser hin zu einem lebenslangen Lernen und gleichzeitigem Anwenden des Gelernten.
Das jetzige System stellt eine Verschleuderung von Volksvermögen dar, denn das Vermögen unzähliger Menschen zu denken und zu handeln wird nicht genutzt. Wie viele Arbeitsplätze würden frei, wenn jeder nach 7 Jahren ein Sabbatjahr für die persönliche Weiterbildung erhielte?
Deshalb begrüße ich den Vorstoß der Jungen Grünen zur Bildungsreform sehr, doch sie sollten dieses Thema nicht gegen die oder an die Stelle der Umweltpolitik stellen, sondern diese mit einbauen. Das kann man ganz einfach sagen:
Jeder Mensch braucht das ÖKO-ABC so nötig wie das 1 x 1, denn ohne Kenntnis der ökologischen Zusammenhänge werden Fehler mit tragischen Folgen für Natur und Mensch gemacht.
Wie können wir das Leben und die biologische Vielfalt unseres Planeten dauerhaft sichern?
Die Natur kann man nicht betrügen und nicht bestechen wie einen Politiker. Sie registriert jeden Verstoß gegen das Grundgesetz des Zusammenlebens und der Nachhaltigkeit.
Jedes Gift, das wir produzieren, landet in der Atmosphäre, im Boden oder im Meer und kommt eines Tages in unseren Lebenskreislauf zurück. Jede Tonne Kohle, Erdöl oder Erdgas – dies im geringeren Maße – liefert zwar Energie aber erhöht gleichzeitig den CO2-Gehalt der Atmosphäre und beeinflusst so das künftige Klima.
Der Einsatz für den Erhalt des Lebens und die Sicherung auch künftiger Generationen muss oberstes Ziel grüner Politik bleiben. Dazu gehört auch die Atompolitik. Eine „entkernte“ grüne Partei ist überflüssig und schafft sich so selbst ab.
Wie können wir Beschäftigung und Generationengerechtigkeit in einer alternden Gesellschaft herstellen?
Der Rückgang der Bevölkerungsdichte könnte bei gleichem Lebensstandard eine Entlastung für die Natur und den Verbrauch an Ressourcen bedeuten, doch der Übergang schafft enorme Probleme, weil weniger Berufstätige für mehr Rentner und leider auch Arbeitslose aufkommen müssen. Die Grünen stellen sich dieser Herausforderung. Dazu brauchen wir die konstruktive Zusammenarbeit der Generationen und Geschlechter. Doch die Gerechtigkeitsfrage muss viel umfassender gestellt werden.
Was müssen wir tun, um der globalen Gerechtigkeit ein wenig näher zu kommen?
Viele Menschen in den Industriestaaten haben sich weitgehend mit dem Elend und der Armut in der Dritten Welt abgefunden, wenn es auch viel persönliche Hilfsbereitschaft zur Linderung der ärgsten Nöte gibt.
Bei den staatlichen Aufwendungen für Entwicklungshilfe kommt es nicht nur auf die Höhe der Finanzmittel an, sondern auf die Art der ihrer Verwendung zum Wohle der betroffenen Menschen. Die Welt ist heute ein großes System kommunizierender Röhren, in dem es zwangsläufig zum Ausgleich unterschiedlicher Wasserstände kommt. Gegen den Druck zum Ausgleich des Wohlstandsgefälles hilft keine nationale Abschottung. Flüchtlinge, Bürgerkriege und Kriege erreichen auch die abgeschotteten Regionen, ganz zu schweigen, welche Wirkungen die heutigen oft menschenverachtenden Abwehrmaßnahmen an Grenzen und Küsten Europas auf unsere eigene Gesellschaft haben.
Wie können wir ein Wirtschaftssystem entwickeln, das ohne quantitatives Wachstum auskommt?
Die Grünen hatten frühzeitig die Lehren des Club of Rome von den Grenzen des Wachstums aufgenommen und verinnerlicht. Doch heute setzen nicht nur die SPD-Genossen, sondern auch Grüne in der Regierung ihre Hoffnung auf das Anspringen der Konjunktur, um die Haushaltsprobleme zu lösen. Da stimmt etwas nicht.
Wir brauchen ein Wirtschaftsmodell, das ohne Wachstum auskommt. Für diese Aufgabe müssen wir die besten Köpfe Deutschlands und der ganzen Welt gewinnen. Wenn es uns gelingt, ein solches Modell in Europa zu verwirklichen, besteht die Chance, dass auch Indien und China dieser Richtung folgen. Jetzt sind die Milliarden Chinesen und Inder dabei, das Wirtschaftsmodell des Westens zu übernehmen, denn ihre Oberschicht ist auch dank deutscher Unterstützung voll der Faszination des Autos erlegen. Das hat verheerende Folgen für den Energieverbrauch und das globale Klima mit der Zunahme von unberechenbaren Dürren, Stürmen und Überschwemmungen.
Der ehrgeizige Ausbau der alternativen Energien in Deutschland ist eine gewaltige Leistung, sie muss jedoch ergänzt werden durch eine radikale Senkung des Gesamtenergieverbrauchs.
Was dürfen wir nie aufgeben?
Einige Grüne haben den Sinn der Gründung dieser Partei aus den Augen verloren, Wir Gründer waren erfüllt von dem brennenden Wunsch, die Erde für unsere Kinder zu retten.
Als Ökologe möchte ich sagen, wir sind ein Teil der negativen Rückkoppelung, die das exponentielle Wachstum, das Ausufern der menschlichen Ansprüche an den Planeten begrenzt. 1
Einiges haben wir erreicht. Dafür danke ich allen Beteiligten, den Grünen an der Basis und denen in Führungspositionen, aber viel mehr bleibt zu tun.
Wenn wir dabei Kompromisse schließen, müssen wir in jedem Einzelfall prüfen, ob er uns einen Schritt näher an die formulierten Ziele unserer Präambel
„Ökologisch – sozial – basisdemokratisch und gewaltfrei“ bringt oder davon weg..
1 Kein langlebiges System kommt ohne eine solche negative Rückkoppelung aus, positive Rückkoppelungen allein führen zu einem Überdrehen des Systems.
Eine Gesundheitsreform, die allein zwischen Anbietern, Kassen und Staat ausgehandelt wird, ist weit von der notwendigen Basisdemokratie, d.h. hier der Teilhabe der Betroffenen an der Entscheidung entfernt.
Ich wiederhole:
Wir haben die gigantische Aufgabe, ein Wirtschaftsmodell zu entwerfen und zu verwirklichen, das ohne Wachstum auskommt.
Und wir haben den Begriffen der sozialen Gerechtigkeit und Generationengerechtigkeit in Deutschland den Begriff der globalen Gerechtigkeit hinzuzufügen, Denn auf Dauer werden sich die unerhörten Gegensätze zwischen den Regionen der Erde nicht aufrecht erhalten lassen.
Vor eine weitere Aufgabe stellt uns der demographische Wandel. Unsere Gesellschaft wird älter, diesem Prozess müssen sich auch die Bündnisgrünen stellen. Wir brauchen dringend eine eigenständige grüne Organisation für alte Menschen2, denn keine Generation kann die Probleme allein lösen.
Viele alte Menschen treten für ein selbstverantwortliches und selbstbestimmtes Leben ein. Sie möchten selber entscheiden, wie sie leben, und nicht andere über ihr Leben bestimmen lassen. Ältere Menschen bejahen die Nachhaltigkeit, denn sie haben erfahren, dass nur eine solche Lebensweise Zukunft hat und ein erfülltes Leben bis zum Alter ermöglicht.
Für diese Aufgabe brauchen wir Kompetenz3 und Visionen.
Ich habe noch Visionen, zwei will ich nennen.
- Eine weltweite grüne Bewegung, die die Politik nicht nur beeinflusst, sondern nachhaltig bestimmt, in Deutschland, in Europa und auch in den USA und den vielen anderen Ländern dieser Erde. Deshalb ist unsere Solidarität auch nach draußen so wichtig.
2Diese Organisation wurde am 28. August 2004 in Berlin als Verein „Grüne Alte“ unter Vorsitz von Edith Lampert, LV Bayern und Dr. Wilhelm Knabe, LV NRW gegründet.
3 „Kompetent ist nicht, wer viel weiß, sondern wer weiß, was er tut.“ nach Otto E. Roessler,
- Und ich habe die Vision, dass Eure Kinder sowie meine und Eure Enkel nicht nur vorm Computer sitzen, sondern sich draußen bewegen und die Natur direkt wie in den Waldschulen des Landes erleben können.
Noch eins, was wir ändern müssen. Kinder erscheinen in der politischen Debatte oft nur noch als Kostenfaktor, Armutsrisiko und Belastung. Das stimmt nicht. Kinder sind die Quelle unzähliger kleiner Freuden der Eltern und Großeltern. Die Zukunft gehört den Kindern. Das haben sie selbst in der Freitagsbewegung unmissverständlich klar gemacht. Selbst wenn sie den Erwachsenen schwierig erscheinen, zwingen sie uns zur geistigen Auseinandersetzung und erhalten uns so lebendig. Wenn ich heute mit 95 Jahren noch munter und engagiert vor Euch stehe, verdanke ich dies auch meinen acht Enkeln, mit denen ich zusammen oft wieder jung sein durfte. Eine Gesellschaft, die durch den Anspruch auf totale Flexibilität und Verfügbarkeit von Arbeitskräften so viele Familien hindert, Kinder zu haben, versagt erbärmlich und zerstört die Grundlage der eigenen Existenz.
Ich wünsche der Grünen Partei, alles Gute für die Zukunft, eine Zukunft die Euch gehört.
Die Grüne Partei, die vor 40 Jahren noch von vielen als ein Haufen von Chaoten angesehen wurde, hat heute in der politischen Landschaft Deutschlands einen festen Platz und gibt der Jugend Hoffnung.