Antidemokraten, Rassisten und Kriegstreiber sind als Straßennamen ungeeignet

Copyright: Ch. Dimoudas

Wir haben uns schon häufiger mit Straßennamen beschäftigt, die nach Persönlichkeiten benannt worden sind. Dabei fällt zunächst der eklatante Mangel an Frauennamen auf, den es zukünftig zu korrigieren gilt. Denn vorbildliche Frauen gibt es zu Genüge. Darauf hatte die Grüne Jugend vor einem Jahr in einer Aktion aufmerksam gemacht. Es gibt aber auch weiterhin Straßennamen, die an Menschen erinnern, die durch ihre Taten, Reden und antidemokratischen Denkweisen in der heutigen Welt kein Vorbild sein können. Wir haben nun den Mülheimer Historiker Dr. Thomas Emons beauftragt, eine kritische Bestandsaufnahme vorzunehmen, die darüber Aufschluss gibt, welche Namen problematisch oder ambivalent einzustufen sind.

Nun liegt die kleine Begutachtung vor. Als kritisch oder ambivalent bewertet Emons knapp 30 Straßennamen und damit mehr als die Grüne Jugend im Blick hatte. Es sind Generäle, Offiziere, Politiker, aber auch Orte, die für siegreiche Schlachten stehen. Darüber wollen wir mit dem Historiker an unserer Seite, mit Bürger:innen ins Gespräch kommen. Ausgewählt haben sie für dieses Gespräch eine markante Straße in Winkhausen, die an einen Kolonialherren erinnert: die Lüderitzstraße. Am Samstag, den 28. November, stehen wir an der Ecke Aktienstraße/Nordstraße von 11:00 bis 13:00 Uhr mit dem Historiker zum Gespräch bereit.

„Adolf Lüderitz war Tabakhändler und Großgrundbesitzer. Seine Ländereien im heutigen Namibia erwarb er durch Betrug der indigenen Bevölkerung“, sagt Christina Dimoudas, Vorsitzende der Grünen Jugend in Mülheim an der Ruhr. Damit habe er die Grundlage für den ersten Deutschen Völkermord an den dortigen Ureinwohnern gelegt. Mit Flugblättern unter dem Motto „Kein Fußbreit dem Kolonialismus hat die Grüne Jugend in der Straße bereits über Leben und Wirken von Lüderitz informiert. Doch sein Leben ist nur ein markantes Beispiel.

„Wir wollen nicht in einer Stadt leben, in der Kriegstreiber, Rassisten und Kolonialisten durch einen Straßennamen unreflektiert als Vorbild erscheinen. Denn Namen sollen immer auch zur Identifikation einladen“, sagt Franziska Krumwiede-Steiner, Fraktionsvorsitzende der Grünen. Es ist nicht Ziel, jetzt 30 Straßen umzubenennen. Vielmehr geht es zunächst einmal darum, bei den Bewohner:innen ein historisches Bewusstsein zu wecken, nach welcher Person die Straße benannt ist, in der sie leben. Einige der schlimmsten Straßennamen aus der Kriegs- und Kolonialzeit sind bereits vor Jahren getilgt worden. Aber längst nicht alle. Straßenumbenennungen sind aber vielfach für die Anwohnenden mit großem Aufwand, hohen Kosten und Unannehmlichkeiten verbunden.

Bei vielen Namen wissen viele Anwohnenden gar nicht, wer und was dahintersteckt. Ihre Bedeutung ist längst verblasst. Emons weist beispielsweise auf den Reichskanzler Bernhard von Bülow (1849 – 1929) hin, der von 1900 bis 1909 Reichskanzler war. Bülow verhinderte nicht nur innenpolitische Reformen, sondern förderte auch die Aufrüstung und trieb die Kolonialpolitik voran. „Insofern war er mitverantwortlich für die internationale Isolation, das europäische Wettrüsten und den ersten von Deutschen begangenen Völkermord an den im heutigen Namibia lebenden Herero und Nama“, erläutert Emons. Er nennt mehrere preußische Generäle aus dem frühen 19. Jahrhundert, zu denen Clausewitz, Zastrow und Schwarzenberg zählen. Sie waren die führend verantwortlichen preußischen Militärs der deutschen Einigungskriege gegen Dänemark, Österreich und Frankreich (zwischen 1864 und 1871). „Als konservative Monarchisten waren sie Gegner der bürgerlich-liberalen Revolution von 1848/49 und der von den liberalen Mitgliedern des preußischen Abgeordnetenhauses 1860 vergeblich angestrebten parlamentarischen Kontrolle des Heeres und seiner Finanzierung“, erklärt Emons. Mehrere dieser Generäle lehnten den vom Wiener Kongress geschlossenen Verständigungsfrieden mit Frankreich ab und standen auch den preußischen Reformen von Stein und Hardenberg kritisch bis ablehnend gegenüber.

Kritisch sieht Emons aber nicht nur Personen, die mit antidemokratischen, kolonialen und autoritären Einstellungen Namenspatronen geworden sind, sondern auch Orte, die die Erinnerung an siegreiche Schlachten und Blutvergießen als Heldenverehrung wachhalten soll. Hierzu zählen unter anderem die Düppelstraße, die Wörthstraße und die Weißenburger Straße. Der bekannteste Ort ist Sedan. Hier wurde Napoleon III. 1870 nach einer Schlacht mit seiner Truppe gefangen genommen. Der 2. September wurde im Kaiserreich als Sedan-Tag gefeiert und diente der Verherrlichung der Armee. „Rückblickend war der Sedantag Ausdruck des wilhelminischen Nationalismus und Militarismus, der in den ersten Weltkrieg mündete“, so Emons. Auch im zweiten Weltkrieg war der Ort Schauplatz einer entscheidenden Schlacht.

Schließlich ordnet Emons auch die Kaiser historisch ein: Von Wilhelm I. etwa ist das Zitat überliefert: „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten!“ Das Revolutionsjahr 1848 wurde als „Tolles Jahr“ lächerlich gemacht. Er lehnt Parlamentarisierung und Demokratisierung nach britischen Vorbild ab, seine Reichsverfassung ab 1870 kannte keine Grundrechte und gewählt wurde mit einem Steuerzensus-Dreiklassen-Wahlrecht. Sein Enkel Wilhelm II. verhinderte ebenso Reformen, forcierte das Wettrüsten in Europa und ist mitverantwortlich für den Ersten Weltkrieg und dessen Folgen. „Alles Personen, auf die Demokraten nicht mit Stolz zurückblicken können“, denkt Krumwiede-Steiner.

Die von Dr. Thomas Emons genannten Straßennamen in der Übersicht:

  1. Kaiser-Wilhelm-Straße (Styrum)
  2. Wilhelmstraße (Stadtmitte)
  3. Wilhelmplatz (Stadtmitte)
  4. Sedanstraße (Styrum)
  5. Moltkestraße (Styrum)
  6. Reichspräsidentenstraße (Holthausen)
  7. Wrangelstraße (Heißen)
  8. Schwerinstraße (Styrum)
  9. Roonstraße (Styrum)
  10. Blumenthalstraße (Styrum)
  11. Steinmetzstraße (Styrum)
  12. Alvenslebenstraße (Styrum)
  13. Yorckstraße (Heißen)
  14. Clausewitzstraße (Heißen)
  15. Schwarzenbergstraße (Heißen)
  16. Gneisenaustraße (Heißen)
  17. Lüderitzstraße (Winkhausen)
  18. Bismarckstraße (Holthausen)
  19. Bülowstraße (Broich)
  20. Wörthstraße (Styrum)
  21. Spichernstraße (Styrum)
  22. Weißenburger Straße (Stadtmitte)
  23. Alsenstraße (Styrum)
  24. Fritz-Thyssen-Straße (Dümpten / Styrum)
  25. Friedrich-Karl-Straße (Styrum)
  26. Düppelstraße (Styrum)
  27. Zastrowstraße (Styrum)
  28. Manteuffelstraße (Styrum)
  29. Von-der-Tann-Straße (Styrum)