Dr. Franziska Krumwiede-Steiner
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister!
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen!
Mitten in Europa tobt ein Krieg und Putin überrollt die Ukraine seit fast zwei Jahren mit Gewalt und Leid.
Im Nahen Osten entfesselt die Hamas die Brutalität des Terrors. Die Videos dessen, was die Hamas den Menschen Israels angetan hat, übersteigen die noch so grausamste menschliche Vorstellungskraft.
Und im Gazastreifen leben Menschen, Kinder in schrecklichster Not, Angst und Gewalt.
Für uns als hier sind die Auswirkungen spürbar:
Die Wirtschaft lahmt, die Preise steigen und die Verunsicherung, ob der Staat und die Politik den aktuellen Herausforderungen gewachsen sind, steigt. Es gibt Familien mit festen, sozialversichersicherungspflichtigen Jobs, die nicht mehr wissen, wie sie Kindergeburtstage oder Weihnachtsgeschenke bezahlen sollen. Kosten für Wohnen und Energie gehen durch die Decke und dass einige fordern, dann ausgerechnet bei den Rentner:innen, Arbeitssuchenden oder Alleinerziehenden den Rotstift anzusetzen, ist erschreckend. Und dann war da ja noch eine Pandemie ….
Aber wir sind nicht machtlos. Wir sind nicht schwach. Unsere Stärke hat Namen: Solidarität und Freiheit.
Im Moment ist unsere Solidarität mehr gefragt denn je und ich hoffe, dass wir mit dem heute hier zur Rede stehenden Haushalt, alles tun, um diese Solidarität auf allen Ebenen auch zum Ausdruck bringen. Dazu gehören die Zentrale Unterbringungseinrichtung in Raadt und die langfristige Planung der dezentralen Unterbringung von Geflüchteten auch in der ehemaligen Stadtgärtnerei in Raadt. Hier handelt die Stadt, der MWB und die Politik vorausschauend, wir zeigen unser solidarisches Gesicht – geben allen Angriffen zum Trotz der menschlichen Solidarität den Vorrang vor den lauten Hatern, Hetzern und Spaltern der AfD von rechts außen.
Außerdem stellt MWB jährlich bis zu 150 Wohnungen bereit. Dadurch hat Mülheim im Gegensatz zu vielen anderen Städten ausreichend viele Kapazitäten, ohne dass wieder Turnhallen belegt werden müssen. Außerdem kann die Unterbringung an der Oberheidstraße aufgelöst werden und wie schon seit längerer Zeit geplant wirtschaftlich entwickelt werden.
Anderen im Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung zur Seite zu stehen, ist das Privileg von Demokraten und Demokratinnen und genau das tun wir auch hier in Mülheim, auch wenn es viel Kraft kostet.
So radikal sich in der globalen Perspektive die Situation auch verschlechtert hat, in Mülheim vor Ort gibt es viele Anzeichen, die hoffnungsvoll stimmen.
Neben positiven Investitionsentscheidungen, die wegen der unsicheren wirtschaftlichen Entwicklung im Land noch nicht alle verbindlich entschieden sind, ist ein Glücksgriff für uns Soravia auf dem Tengelmann-Areal. Die Pläne für die Parkstadt sind vielleicht noch immer eine Nummer zu groß, aber wichtig ist: fast die komplette Fläche im Bestandsgebäude ist bereits schon jetzt gefüllt.
Gebaut wird auch am Rande des Flughafens, die Investoren auf dem ehemaligen Postareal haben ihre Pläne konkretisiert, dem ehrwürdigen Handelshof kann neues Leben eingehaucht werden, die Investoren auf dem bisherigen Siemens-Technopark wollen etwas bewegen, Mülheim-West kommt in ein gutes Fahrwasser und dann haben wir – Änderung seit Finanzausschuss – mit dem niederländischen Investor CTP einen guten Investor für das Vallourec-Gelände gewonnen. Vor allem beim Vallourec-Gelände hat es sich ausgezahlt, dass wir für das Gelände ein Vorkaufsrecht gesichert und dieses auch angewendet haben. Wir können hier Industriearbeitsplätze und Industriefläche sichern und auch Einfluss auf die Auswahl der Unternehmen ausüben, die sich dort ansiedeln wollen.
Außerdem bietet die Vereinbarung die Möglichkeit, lange aufgeschobene Infrastrukturprojekte wie die die Styrumer Tangente mit Fördermitteln umzusetzen.
Die laut gewordene Kritik am Abriss der Fritz-Thyssen-Brücke sehen wir gelassen. Die Erneuerung ist unumgänglich. Wir stehen noch ganz am Anfang einer Planung und vertrauen darauf, dass im Prozess, so wie Felix Blasch angekündigt hat, eine verträgliche Lösung gefunden werden kann.
Bezahlbarer Wohnraum, lebendige Nachbarschaften und sozial gemischte Quartiere sowie umweltverträgliche, besser noch klimaneutrale Wohnungen sind für die Stadt wichtig. Hier geht SWB, schon seit Jahren einen konsequenten und ambitionierten Weg. Schon ist knapp ein Drittel des Wohnungsbestandes CO2-neutral, bis 2045 soll der gesamte Bestand klimaneutral sein. Dachbegrünung, Photovoltaik mit Mieterstromangeboten zur Reduzierung der Energiekosten, E-Ladestationen und Fahrradschuppen sowie das Setzen auf eine nachhaltige Energieversorgung und Baustoffe …
Mit einem 211 Millionen umfassenden Fünf-Jahres-Paket will das Wohnungsbauunternehmen 294 Neubauwohnungen errichten, über 1000 umfassende Modernisierungen realisieren und bei Mieterwechseln 350 Einzelmodernisierungen umsetzen. Das ist im Vergleich zum vorherigen Zeitraum eine Steigerung der Investitionen um 40 Prozent. Eines der zentralen Projekte dabei ist die Eichbaumsiedlung, wo bereits vor längerer Zeit der erste Bauabschnitt mit 100 neuen und fast genauso vielen renovierten Wohnungen eingeweiht werden konnte.
Ein Leuchtturmprojekt der ganz anderen Art realisiert SWB im Herzen der Innenstadt
Eine innovative Fassadenbegrünung, die automatisch mit aufgefangenem Regenwasser bewässert wird, wird dann weit sichtbar für den Wandel stehen. Die vertikale Begrünung wird nicht nur reine Symbolik sein, sondern auch eine spürbare Wirkung haben. Die weiteren Geschosse werden mit PV-Anlagen versehen.
Wir Grünen begrüßen dieses Projekt ausdrücklich, wünschen uns mehr private Initiativen zum Klimaschutz und sorgen mit Nachdruck auch im Haushaltsbegleitantrag dafür, dass die Stadt mit gutem Beispiel vorangeht. Mit dem Budget, dass wir im noch laufenden Haushalt für PV-Anlagen bereitgestellt haben, wird schon bald die Grundschule am Saarnberg profitieren.
Für uns Grüne ist die Verkehrswende ein wichtiges Anliegen. Alle Formen von extremen Wetterereignissen von Stürmen, Starkregen und Hitzerekorden zeigen eindrucksvoll die Dringlichkeit, die zwar in der Bevölkerung weitestgehend erkannt wird, wenn es an die Umsetzung geht, die mit individuellen Einschränkungen verbunden ist, lässt diese Zustimmung dann aber immer wieder nachlässt. So ist es nicht verwunderlich, dass uns ein Änderungsantrag der FDP zum beschlossenen Radweg an der Kaiserstraße, der heute auf der Tagesordnung steht, irritiert, um nicht zu sagen fassungslos gemacht hat. In der Bewertung stimmen wir ja mit den Liberalen überein. Ja, Mülheim ist eine Autostadt und die Anzahl der angemeldeten Fahrzeuge steigt sogar noch statt zurückzugehen, wie man es angesichts der festgestellten Klimanotlage erwarten müsste. Doch im Gegensatz zur FDP wollen wir das weder tatenlos hinnehmen, noch begünstigen, sondern wollen es verändern, nicht nur, weil das aus Klimaschutzgründen dringend geboten ist. Mehr Lebensqualität, Gesundheit und vor allem die Verkehrssicherheit sind weitere wichtige Gründe. An der Kaiserstraße muss das Naheliegende getan werden. Es ist eine der wenigen Hauptverkehrsstraßen in der Stadt, die über keinerlei Radverkehrsanlage verfügt nicht einmal über eine schlechte. Wir wollen nicht die Verantwortung dafür übernehmen müssen, dass auf der abschüssigen Strecke, auf der Autofahrer, auch versehentlich, schnell das Tempolimit überschreiten, und wo überdies auch für Radfahrende tückische Straßenbahngleise verlegt sind, es zu Unfällen mit schweren Verletzungen oder gar tödlichen Folgen kommt. Davon profitieren, lieber Peter Beitz, übrigens auch und insbesondere die Schüler:innen. Aus vielen Gesprächen wissen wir, dass sich Menschen nicht trauen, auf Rad zu steigen, weil es ihnen zu gefährlich erscheint. An der Kaiserplatzkreuzung wollen wir die Radelnden aber auch nicht ratlos zurücklassen, sondern ihnen in einem zweiten Schritt eine attraktive und sichere Fortsetzung unter dem Kurt-Schumacher-Platz durch bis zur Auffahrt zum Radschnellweg am Hauptbahnhof bieten. An der Aktienstraße und an der Duisburger Straße, dies sei hier schon einmal gesagt, kann es auch dauerhaft nicht mehr so bleiben wie es ist.
Die Skeptiker, die fürchten, der Verkehrsfluss könnte durch einen Radweg an der Kaiserstraße allzu sehr ins Stocken geraten, können beruhigt sein. Seit Monaten gibt es hier eine Baustelle, die mehr Platz in Anspruch nimmt, als es der Radweg tun wird. Und ein Schwung mit dem Zauberstab, der Verkehr, er fließt doch.
Viele Großstädte, die für ihre Staus bekannt waren, sind inzwischen Vorreiter bei der Verkehrswende, Paris oder Madrid etwa, wo man sich drastische Einschränkungen nie vorstellen konnte, von niederländischen oder skandinavischen Städten abgesehen. Deshalb wollen wir auch hier an der Kaiserstraße mehr als nur eine Minimallösung. Wir wollen mit einem guten und sicheren Angebot Maßstäbe für Mülheim setzen und zum Umsatteln motivieren. Um die Phantasie zu beflügeln, was zu erwarten ist, wenn im kommenden Jahr die Bauarbeiten beginnen, haben wir eine Simulation in Auftrag gegeben, die in einigen Details leicht über das Beschlossene hinausgeht.
Wir müssen eine tiefgreifende Transformation gestalten – und das nachhaltig. Es geht um Klimaneutralität und Klimaanpassung, um Energiewende, Verkehrswende, Digitalisierung und die Auswirkungen des demografischen Wandels, um Veränderungen des Lebens, des Arbeitens und des Wirtschaftens. Das alles gepaart mit einer multiplen Mangellage. Es gibt einen Mangel an Rohstoffen, an bezahlbarer Energie, an Wohnungen, an Fachkräften und einen Mangel an Frieden und Stabilität in der Welt.
Und Apropos Krise: Lassen Sie mich ein paar Worte zu aktuellen PISA Studie sagen, weil es, wie ich finde, schon eine Besonderheit ist, dass hier in diesem Stadtrat mehrere Eltern von kleinen Kindern vertreten sind. Gute Bildung fängt bereits in der Kita an und wir haben hier die größte intrinsische Motivation gute Bildung für alle voranzutreiben. Ein großes Lob gilt daher auch den Trägern, die eine qualitativ hochwertige OGS Betreuung in Mülheim sichern und ausbauen. Kinder sollen eben nicht „verwahrt“ werden, sondern von Anfang in ihren Talenten und Potentialen gefördert und gefordert werden. Wir sind hier persönlich betroffen von Kita-Notbetreuung und Personalmangel an der Schule. Was PISA uns einmal mehr mit auf den Weg gibt ist, dass wir Ungleiches nicht gleich behandeln, sondern denjenigen mehr Förderung zukommen lassen, die diese benötigen. Lassen Sie uns weiterhin innovative Bildung vorantreiben und auch dafür sorgen, dass der Bildungsstandort Mülheim gesichert ist.
Und die Holocaust-Überlebende, Zilli Schmidt, die in meinen beiden Heimatstädten, Ingolstadt und Mülheim gelebt hat, hat gesagt „Gott, hat mit mir etwas vorgehabt.“ Nicht nur deswegen würde wir gerne eine Straße nach ihr benennen, und weil uns ihr Andenken vor Augen führt, dass „Nie Wieder“ keine leere Phrase bleiben darf, schaffen wir für die Schulen eine archivpädagogische Stelle im Stadtarchiv. Auch in der Hoffnung, dass sich mit einer solchen Stelle die AfD Fraktion bald in unserem Stadtrat erübrigt haben wird.
„Freiheit wird nie geschenkt, immer nur gewonnen“, sagt Heinrich Böll.
Und in diesem Sinne wünsche ich uns heute gute Beratungen, denen, die es feiern, ein friedliches Fest.