Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen,
Das letzte Wort zu haben, ist auch ganz schön. Weil schon so viel gesagt wurde, möchte ich Sie nun nicht mit noch mehr Zahlensalat beglücken, aber doch noch einmal unsere wichtigsten Argumente zusammenfassen, warum wir diesem Haushalt zustimmen werden.
Die Frage bleibt: Worum geht es heute eigentlich? Was steht auf dem Spiel? Die Antwort: Die Freiheit der politischen Gestaltung dieses Rates und damit auch die Zukunftsfähigkeit unserer Stadt Mülheim an der Ruhr. Nachdem letztjährig die stadthistorische Entscheidung der Beteiligung am NRW-Stärkungspakt getroffen wurde, steht nun an, die sich daraus ergebenden Konsequenzen zu ziehen. Das sei allen noch einmal gesagt: Die Landesgelder aus dem Stärkungspakt gibt es nicht gratis. Verbunden damit sind die Bürden und Hürden einer Sparpolitik, die in weiten Teilen gleichermaßen unangenehm für Bürgerinnen und Bürger, Politik und Verwaltung ist. Wie Kämmerer Frank Mendack richtig formulierte: Für fünf Millionen Einsparung gibt es 160 Millionen zurück. Das aber nach dem Motto HOPP oder TOP.
Wir wissen alle, wie dringlich die Stadt diese Gelder benötigt. Während andere Kommunen bereits die dritte Runde solcher Segnungen genießen, ist Mülheim erstmalig dabei.
Dass unsere Stadt in punkto Förderung enormen Nachholbedarf hat, zeigt der erneute Blick auf andere Städte der Umgebung mit im Vergleich weitaus schlechteren Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialdaten. Sie weisen mittlerweile ausgeglichene Haushalte auf. Sie genießen die Segnungen des Stärkungspaktes im Gegensatz zu uns seit Jahren. Dass er auch bei uns Wirkung entfaltet, zeigt das aktuelle Defizit von 23,76 Millionen Euro. Immer noch zu viel, aber in den Vorjahren hatten wir deutlich Schlimmeres zu beklagen. Mülheim ist auf einem sichtbar guten Weg und den müssen wir weiter beschreiten.
Dazu gehört eben auch, die Bürde der von der Gemeindeprüfungsanstalt vorgelegten Sparvorschläge zu schultern. Die hatten wir im letzten Jahr mit 9,6 Mio. etatisiert und müssen das nun umsetzen.
Vorab noch ein Wort zu dem, was die GPA uns da vorlegte: Es ist ein Musterbeispiel dafür, wenn statt der Politik stadtferne Bürokraten und Buchhalter zu entscheiden haben. Aufgenommen in die Liste wurde alles, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Dies ohne jede Rücksichtnahme auf gewachsene Strukturen, den Zusammenhalt der Bürgerschaft und die Zukunftsfähigkeit der Stadt. Würde das alles restlos umgesetzt, könnten wir Mülheimerinnen und Mülheimer in wenigen Jahren unsere eigene Stadt nicht mehr wiedererkennen. Mülheim wäre eine Kommune mit ausgehungerter Verbraucherberatung, schwindsüchtigem Centrum für bürgerschaftliches Engagement und gefesselter Klimainitiative. Die Sozialverbände würden am Hungertuch nagen, wichtige allseits anerkannte Projekte wie Jekits, die AIDS-Beratung oder Füchse würden ebenso wie die Sozialverbände mit ihren im Sinne der Subsidiarität enorm wichtigen Aufgaben ausbluten. Der sozialpolitisch wichtige Mülheim-Pass wäre ein Karikatur seiner selbst. Alleinstellungsmerkmale wie das Naturschwimmbad, unser Theater oder das Kunstmuseum nur noch Geschichte. Solch ein seiner sozialen, ökologischen und kulturellen Infrastruktur beraubtes Gemeinwesen ist abschreckend und für niemand attraktiv.
Diese Horrorvision zeigt auf, dass zur Politik eben nicht nur gehört, Zahlenkolonnen miteinander zu vergleichen und allein danach zu entscheiden. Gute, orts- und bürgernahe Politik ist eben nicht ausschließlich Mathematik, Rechnungswesen und seelenlose Zahlenhuberei, sondern weitaus mehr. Sie muss Wege weisen, Perspektiven aufzuzeigen, Werte vermitteln und das harmonische Miteinander organisieren.
Und genau deshalb haben wir als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen überhaupt kein Verständnis dafür, wenn einige in diesem Hause bewusst nach dem Sparkommissar rufen. Meine Damen und Herren, Sie spielen mit dem Feuer! Auch die von der Bezirks- oder Landesregierung zum Sparkommissar berufene Person wird wie die GPA-Akteure nichts anderes als ein Finanz-Technokrat sein. Auch er oder sie werden rein zahlentechnisch vorgehen. Die Werte, die ein kommunales Miteinander ausmachen, werden dann keine Rolle mehr spielen.
Kolleginnen und Kollegen von der BAMH, der MBI und teils auch CDU: Es ist doch absolut unlogisch, Ihrerseits den Großteil der GPA-Vorschläge zu Recht abzulehnen, aber Selbiges von einem Sparkommissar in aufgewärmtem Format erneut Präsentiertes geradezu herbei zu fordern.
Man kann den Eindruck gewinnen, Sie würden selber gerne die Strukturen rasieren, haben aber wegen zu erwartender Proteste auch unter der eigenen Wählerschaft dazu nicht den Mut. Da ist es praktisch, wenn Ihnen jemand von außen die Schmutzarbeit abnimmt. Bei der MBI kann man ja ohnehin den Eindruck gewinnen, dass in ihrer Weltsicht alles in Mülheim schlecht ist und das Gute nur von außen kommen kann. Sie lebt mittlerweile von jeder Realität unberührt in einem eigenen Universum. Sie fordert und fordert, macht sich aber nicht einmal die Mühe, auch nur diesbezügliche Anträge zum Haushalt zu stellen. Wir haben es gestern in der Debatte zur VHS erlebt. Sie wollen die Sanierung, stehlen sich aber aus der Verantwortung, wenn es darum geht, Gelder dafür bereitzustellen. Die zwingend dafür benötigte Grundlage ist ein genehmigungsfähiger Haushalt und hier sind sie wieder einmal ein Totalausfall! Den Bürgerinnen und Bürgern Hilfe in Aussicht stellen und sie dann an entscheidender Stelle im Stich lassen – das ist hochgradig verlogen!
Auch von der FDP ist in diesem Jahr leider nichts Neues zu erwarten. Schaut man sich Ihre Wertung der GPA-Vorschläge an, sieht man einen Wald von Fragezeichen. Wer so entscheidungsschwach ist, ruft natürlich gerne nach dem vermeintlichen Entscheider von außen, sehr geehrter Herr Beitz. Ach ja, der Ladenhüter ÖPNV-Einschnitte. Das musste ja kommen.
Gar nicht verständlich ist uns die Position des Linke-Kreisverbandes, dem man sicherlich keine neoliberalen Regungen unterstellen kann. Aber, lieber Andreas, ihr müsst doch wissen, dass mit einem Sparkommissar ein sozialer Kahlschlag ohnegleichen drohen wird. Frage: Wollen das Eure Wählerinnen und Wähler wirklich? Ist es denn kein Alarmzeichen, wenn Diakonie und Caritas – DPWV und AWO werden nicht anders denken – dringlich vor einer Fremdbestimmung von außen warnen?
Nein, es hilft alles nichts: Wenn wir Schaden von dieser Stadt abwenden wollen, wenn wir ihr eine Perspektive geben wollen, wenn wir unserer Verantwortung als Stadtverordnete gerecht werden wollen, müssen wir uns auf die Logik des Stärkungspaktes einlassen. Das heißt: Farbe bekennen!
Wir müssen – das ist ohne Alternative – die mehrfache Wahl zwischen Pest und Cholera, annehmen. Sie können uns – und ich spreche dabei auch im Namen der SPD und des Bündnisses für Bildung glauben: Die Sparvorschläge, die wir dem Rat vorlegen, sind uns in großen Teilen ein Graus, aber Besseres liegt uns nicht vor.
Deshalb sehen wir dazu keine Alternative. Um Schlimmeres abzuwehren, müssen wir in den sauren Apfel beißen. Leider sind die Zeiten, als Mülheimer Kommunalpolitik Wohltaten statt Grausamkeiten zu verteilen hatte, seit den Fünfziger- und Sechziger Jahren endgültig vorbei. Ich habe die Zeiten der Wohltaten leider nie erlebt.
Wir nehmen zur Kenntnis, dass die Verwaltung in ihrer Eigenverantwortung Spar-Beiträge auswies, die sich bis 2022 auf ca. 5,4 Millionen Euro summieren. In 2018 sind es gerade einmal 576.000, aber das ist ja steigerungsfähig. Bleibt zu hoffen, dass diese Zahlen nicht nur Ansage sind, sondern auch Realität werden.
Für die Politik einzusparen bleiben rund 4,2 Mio. Euro. Es ist nicht einfach, unter vielen Grausamkeiten die auszuwählen, die noch am ehesten verantwortbar ist. Unsere Vorgabe war deshalb, keine bestehenden Strukturen irreversibel zu zerschlagen. Deshalb kamen Dinge aus dem Kulturbereich wie Stadtteilbibliotheken, das Museum Alte Post und auch das Theater nicht infrage. Würde das umgesetzt, was die GPA und im Fall Theater an der Ruhr die BAMH sich vorstellt, wären diese städtisches Leben ausmachenden Strukturen unrettbar verloren. Die Einsparungen von 2 Mio. Euro sind im Übrigen feige. Ehrlicher wäre gewesen wenn die BAMH die Schließung des Theaters gefordert hätte, denn das ist die Folge, klingt nur nicht so schön und das haben Sie sich dann nicht getraut.
So blieb unter den nennenswerten Positionen der große Block Kita und OGS. Das sind zugegeben genau die Posten, bei denen jedem sozial denkendem Menschen das Herz blutet. Aus Letzterem will ich keine Mördergrube machen: Ginge es nach Bündnis 90/Die Grünen, müssten Kita und OGS ebenso wie Schule und Universität beitragsfrei sein. Das wäre ein überfälliger familien- und bildungspolitischer Schritt. Leider aber sind wir mit Realitäten konfrontiert, die das nicht zulassen.
Andererseits müssen wir konstatieren, dass die Qualität beider Einrichtungen in Mülheim landesweit Maßstäbe setzte und setzt. Und das bei Elternbeiträgen deutlich unter denen der Nachbarstädte. Spricht man mit Emissären anderer Städte oder Landtagsabgeordneten außerhalb Mülheims, wird der Stadt oftmals in dieser Angelegenheit reiner Luxus vorgehalten. Übrigens: Lob und Anerkennung für dieses Engagement gab es außerhalb der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bisher nicht. Erst jetzt, wo Einschnitte anstehen, machen sich Fraktionen wie CDU, BAMH, FDP und MBI zum Anwalt der Betroffenen.
Doch zurück zu den Beiträgen: Die GPA lässt uns die Möglichkeit, über die Absenkung der OGS-Zuschüsse einerseits und höhere Elternbeiträge andererseits zwischen Qualität und Preis auszuwählen. Wir haben uns bewusst gegen Qualitätsverlust entschieden. So blieben die Elternbeiträge. Im CDU-Antrag ist die Anhebung der Beiträge zwar weniger deutlich ausgefallen, als die Vorlage der Verwaltung es vorsah. Das reißt aber gleichzeitig eine Lücke in den Haushalt. Sie muss nun gestopft werden, wenn wir die Zustimmung der Aufsichtsbehörde erhalten wollen. Leider habe ich hierzu von der CDU nichts vernommen, wie sie den fehlenden Betrag aufbringen will.
Um einen Teil zu kompensieren schlagen wir mit SPD und Herrn Tuncer die neue HSK-Maßnahme „Kalkulatorische Zinsen Abwassergebühren“ vor.
Uns ist bewusst, dass die Erhöhung der Elternbeiträge unvermeidbar war, der CDU-Vorschlag aber nur eine Scheinlösung ist. Denn damit ist der Haushalt eben nicht genehmigungsfähig, dient nur als Beruhigungspille für die Eltern, bringt aber die Stadt in die Bredouille.
Ich appelliere deshalb an die anderen Fraktionen, sich nicht zurück zu lehnen und andere die Schmutzarbeit machen zu lassen. Sie sind – gerade bei den hier geltenden wechselnden Mehrheiten – gewählt worden, um zu gestalten. Um unbeteiligter Zuschauer zu sein, bedarf es keines Ratsmandates. Stellen Sie sich Ihrer Verantwortung für die Stadt, ihre Bürgerinnen und ihre Bürger!
Denken sie auch an das landesweite Image unserer Stadt. Da wird gern die Mär von der Stadt der Milliardäre und Millionäre gepflegt. Dort geht die Sage, die Stadt leiste sich trotz sehr guter Steuereinnahmen in viel zu vielen Bereichen einen angesichts ihrer aktuellen Finanzlage kaum zu vertretenden Luxus. Sie habe den Ernst der Lage immer noch nicht erkannt und weiterhin die Spendierhosen an. Diesem snobistischen Image sollten wir nicht noch Vorschub leisten, indem ein entscheidungsunfähiger Rat sich selbst den politischen Bankrott erklärt.
Dennoch, das muss auch gesagt werden, wird alleine der Stärkungspakt Mülheim nicht aus dem Sumpf ziehen. Dazu bedarf es Entscheidungen, die nicht auf unserer Ebene, sondern auf der des Bundes zu treffen sind. An vorderster Stelle steht da ein Altschuldenfonds des Bundes für finanziell ausblutende Kommunen. Bei Kassenkrediten von momentan ca. 1,1 Milliarden Euro wird sich die Stadt aus eigenen Kräften nicht annähernd entschulden können. Politik muss von unten her gedacht werden und deshalb ist die Entschuldung der Gemeinden ein gesamtstaatliches Muss. Ein Weiteres ist die Umwandlung des Solidarfonds Deutsche Einheit nach 2019. Dem Prinzip „Förderung nicht nach Himmelsrichtung, sondern nach Bedürftigkeit“ muss endlich Geltung verschafft werden.
Mülheim wird bis 2019 um die 200 Millionen Euro in den Fonds eingezahlt haben. Nun ist die Zeit gekommen, dass die Zahlungen der notleidenden Kommunen an der Ruhr ein Ende finden und die Gelder aus Bayern, Hessen und Baden-Württemberg auch einmal ins Revier fließen. Der grundgesetzlich vorgeschriebenen Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse muss auch bei uns an der Ruhr Geltung verschafft werden. Wenn in Mülheim an der Ruhr 30 Prozent der Kinder im Hartz-IV-Bezug sind, ist etwas faul in unserem Land.
Wir setzen in dieser Angelegenheit weiter auf das interkommunale Aktionsbündnis „Raus aus den Schulden“. Wir gehen davon aus, dass OB Scholten und Kämmerer Frank Mendack das, was ihre Vorgänger begannen, fortsetzen. Wir setzen aber ebenso auf die Bundesebene. Wir bedauern, dass unsere Stadt mit Arno Klare nur noch einen Bundestagsabgeordneten hat. Ich hätte mich gefreut – das können Sie mir glauben, Herr Michels – wenn auch Frau Timmermann-Fechter und natürlich ebenso Frau Krumwiede-Steiner gemeinsam mit Herrn Klare die Interessen unserer Stadt in Berlin hätten vertreten können. Im Zweifel heißt das, auch einmal Parteifreundinnen und Parteifreunden aus anderen deutschen Gefilden, die keine Sensibilität für die Probleme unserer gebeutelten Region haben, verbal vor das Schienbein zu treten.
Abschließend das Wort zum Sonntag:
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus CDU, BAMH, MBI, FDP und WIR: Bleiben Sie nicht in der Ohnemichel- und Schmollecke! Werden Sie Ihrer Verantwortung für unser Mölm gerecht! Geben Sie sich einen Ruck und machen Sie den Weg für die Verabschiedung eines Haushalts und damit der 160 Millionen für unsere Stadt aus dem Stärkungspakt frei! Bekennen Sie sich zur Gestaltungsfähigkeit!
Eine schöne Vision wäre doch, wenn es bei den Etatberatungen des Jahres 2027 über uns hieße:
Sie haben es nicht einfach gehabt, sie haben es sich nicht einfach gemacht, aber es war ein erster Wendepunkt zum Guten.
Nun bleibt mir nur noch, mich bei Herrn Mendack und den vielen städtischen Bediensteten zu bedanken, die diesen Haushalt möglich gemacht haben. Sie standen uns Politikerinnen und Politikern bei Bedarf und Meldung stets mit Rat und Tat zur Seite.
Desgleichen bedanke ich mich bei jenen im Rat, die die Verantwortung annehmen und hoffe, dass die Zahl derer weit über die Mandate von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und BfB hinausgeht.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine erfolgreiche Abstimmung.
Danke fürs Zuhören.
Tim Giesbert
Fraktionssprecher