Es war einmal an den Ufern der Ruhr eine mittelgroße Stadt. Die hatte einen Hauptbahnhof mit nicht mehr ganz taufrischen Bahnsteigen. Als die große DEUTSCHE BAHN, der das alles gehörte, ankündigte, nach dem Bahnhofsgebäude nun auch die Bahnsteige in Ordnung zu bringen, freuten sich alle. Besonders natürlich Pendler und andere Bahnreisende. Was würde man bald für einen schmucken Hauptbahnhof haben! Die Vorfreude war groß.
Die große DEUTSCHE BAHN reagierte flugs. Die Abteilung für Public Relations war bestens vorbereitet. Überall rund um den Hauptbahnhof ließ sie große Banner anbringen. Dieser Bahnhof, so die Aufschrift rot auf weiß, sei nur einer von 150 überall im Land, die schöner gemacht würden. Die große DEUTSCHE BAHN, waren sich alle einig, tut was für uns und die Stadt. Deren Eingangstor und Visitenkarte würde bald in neuem Glanze erstrahlen.
Im August 2015 ging es los. Zäune wurden gesetzt, Asphalt aufgehämmert, Kabel offengelegt, Kantensteine geschichtet, erste Gehwegplatten verlegt. Emsig wirbelten Bauarbeiter über die Bahnsteige. Dass Reisende nunmehr wegen Verlegung der Einstiege bei Regen kein Dach mehr über dem Kopf hatten, nahmen die meisten gerne in Kauf. Nachher würde es umso schöner werden.
Würde, war es aber nicht, weil im Oktober des Jahres der Feuerteufel zuschlug. Und zwar im Stellwerk Styrum. Die Flammen wüteten dermaßen, dass nichts mehr ging. Na klar, auch nicht die Arbeiten an den Bahnsteigen.
So ruhte denn die Baustelle. Der Herbst verging, die Weihnachtszeit kam. Es wurde kalt, die Leute aßen Spekulatius und Lebkuchen, begingen den Jahreswechsel. Ende März des Jahres 2016, als die Narzissen zu blühen begannen, verkündete die große DEUTSCHE Bahn, dass es nun zügig weitergehen werde. War das eine Freude und Genugtuung! Im Sommer, aber doch spätestens im Herbst, würde alles neu erstrahlen. Schließlich war das Werk schon bis zur Hälfte vollendet.
Die heißen Tage kamen, die Blätter an den Bäumen fielen. Es tat sich … wenig bis nichts! Was im Frühjahr noch mit Elan begann, versiegte im Laufe des Jahres zusehends. Das fiel einer Gruppe von Stadtratsmitgliedern auf, deren gemeinsame Farbe Grün ist. Könne man denn wohl zu Weihnachten oder zum Jahreswechsel mit der Fertigstellung rechnen, fragten sie. Ob diese Frage die große DEUTSCHE BAHN erreichte, die fernab der Stadt in ihren großen Bürotürmen residiert, ist nicht bekannt.
So begann das Jahr 2017. Zeitungsschreiber wollten wissen, warum es denn nicht weiter gehe. Und tatsächlich erhielten sie nach vielen Anläufen und Endlosschleifen bei der großen DEUTSCHEN BAHN eine Audienz. Nur im Dunkel der Nacht, verkündete sie, sei die weitere Arbeit möglich. Deshalb dauere es leider etwas länger.
Wieder verging ein Frühling, dann ein Sommer. Die Leute freuten sich über Ostereier, fuhren in Urlaub, hörten im Radio den Sommer-Hit Despacito. Alles veränderte sich – nur nicht die Bahnsteige am Hauptbahnhof.
Dort kehrte die große Stille ein. Jetzt, genau zwei Jahre nach Baubeginn ragen weiterhin Bauzäune auf, gähnen Löcher mit offenen Kabelsträngen, verziert durch diverse Arten von Wohlstandsmüll. Doch halt, etwas Neues gibt es doch. Wildkräuter – sonst eigentlich eine Freude für die grünen Leute im Rat – breiten sich fröhlich in den Baugruben auf den Bahnsteigen aus. Die Menschen rätselten, wie es denn nun weitergehe – die große DEUTSCHE BAHN schwieg.
Das galt bis heute. Nun verkündet die große DEUTSCHE BAHN aufregende, neue Nachrichten. Ab kommenden Montag soll es tatsächlich weitergehen. Neue Zielmarke: Bis Ende 2018 – dreieinviertel Jahre nach Beginn – wird alles fertig sein. Mülheim horcht auf und ist – zugegeben mit ein wenig Skepsis gepaart – gespannt.
Manche behaupten, dass es im fernen BERlin eine Baustelle gebe, bei der es weitaus langsamer vorangehe. Da müsse man in der mittelgroßen Stadt an den Ufern der Ruhr schon Geduld haben.
So geht die Zeit dahin und alle warten. Und wenn sie bis Ende 2019 nicht gestorben sind, dann warten sie noch…?
Jürgen Pastowski